"...der Mensch dem anderen Menschen zum Bedürfnis..." - Helke Misselwitz

Foto: Filmfestival Cottbus

Sollte ich einen typischen Lebenslauf einer/es DDR-KünstlerIn beschreiben, würde ihrer genau hineinpassen.
Sie war Möbeltischlerin, Psychotherapeutin, Regieassistentin, studierte Regie, arbeitete als freie Autorin, war Abräumerin in einer Bahnhofskneipe, Aufsichtskraft in einer Galerie, wurde Meisterschülerin bei Heiner Carow an der Akademie der Künste und gründete mit Thomas Wilkening eine der ersten privaten ostdeutschen Filmfirmen.
Es gab viele solcher Zick-Zack-Lebensläufe in der Ehemaligen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Helke Misselwitz verfolgte trotz aller Schwierigkeiten ihren Weg. Sie wollte Filme machen, Filme die über Menschen sprechen. Wie Christa Wolf, Maxi Wander, Irmtraut Morgner, Sarah Kirsch und Brigitte Reimann gehört sie einer Generation starker, selbstbewusster Frauen an, die vom Leben verlangten, was ihnen zusteht, die ihren Weg gingen und sich nicht von Mann und Kindern ausbremsen ließen. Ihr Leben war nicht leicht, aber ein leichtes Leben war sicher nicht das, was sie wollten. Sie waren Kämpferinnen.

Von Helke Misselwitz sah ich zuerst den Film "Winter ade", von 1988. Für mich einer der besten Dokumentarfilme, die über Frauenleben berichten. Es ist ein Film wie ein langes Gedicht. Er zeigt Frauen aus verschiedenen Generationen, an ihrem Arbeitsplatz und in den eigenen vier Wänden.
Da ist die Werbeökonomin mit zwei Männern, die Tanzlehrerin mit ihren Erinnerungen aus dem 2. Weltkrieg, die Hilfsarbeiterin in einer Brikettfabrik, deren Aufgabe es ist, die Rohre frei zu halten, zwei junge Punkerinnen... Auf dem Weg durch das Land erfährt man aus dem Fernsehen, wie der Frauentag begangen wird, schaut ein paar jungen Mädchen im Autokino beim Film "Die Legende von Paul und Paula" zu. Die Frauen erzählen von ihrem Leben, ihren Illusionen, ihren Träumen mit geradezu entwaffnender Ehrlichkeit und Offenheit. Am Ende des Filmes sind einem diese Frauen so ans Herz gewachsen, dass man sie nicht verlassen möchte, mehr von ihnen wissen will.

Volker Müller schrieb im Neuen Deutschland:
"Mit Wärme und Zärtlichkeit erzählt die begabte Regisseurin von Glücksmomenten und schweren Prüfungen, von Arbeit, Ansprüchen und Träumen.
Vom kurzen Blickwechsel bis zur Lebensgeschichte hat Helke Misselwitz verschiedenartigste Begegnungen festgehalten und sie zu einem fesselnden Reisebericht durch unseren Alltag montiert, reich an geistvollen Assoziationen und Pointen, an Entdeckungen bis ins feinste Detail. Ein Film über Frauen, aber nicht etwa nur für sie. Ein Film zum Thema 'Wie soll man leben?'"

Sie selbst sagte in einem Interwiev: 
„...nicht nur ein Film über Frauen, sondern über Menschen in dieser Gesellschaft. … Es ging darum, zu erfahren, wie Menschen geworden sind, und was sie hindert, wirklich sie selbst zu sein.
Wie sehr ist der Mensch dem anderen Menschen zum Bedürfnis geworden. Das ist das eigentliche Thema.“

1990 entsteht der Film "Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann", indem sie den letzten Kohleschleppern ein Denkmal setzt. Der Film spricht von der harten Arbeit, den Gedanken und Ängsten der Männer und ihrem unsentimentalen Alltag in Zeiten des großen, gesellschaftlichen Umbruchs. Wie für die Kohlemänner, deren Beruf nicht mehr gebraucht wird, endet auch die Anstellung Helke Misselwitz bei der DEFA.

Ihre Filme waren von den Regierenden in der DDR nicht gern gesehen. Auf die Frage, wann denn der Film "Winter ade" im DDR-Fernsehen zu sehen sein werde, war die Antwort: Nie!
Auch später, als es die DDR längst nicht mehr gab, hatten es ihre Filme nicht leicht. Als Mitte der 90iger ihr Spielfilm "Engelchen", ein wunderbar fotografierter Film, beim Auftraggeber ZDF vorgeführt wurde, entschied die Redaktion ihn nicht wie geplant zur Hauptsendezeit auszustrahlen. Er zeige zu viel Tristesse und sei außerdem zu anspruchsvoll. Vielleicht läuft er mal gegen Mitternacht.

Was macht die Filme von Helke Misselwitz so besonders?
Es geht immer um die Menschen, um die sich sonst niemand schert, um ihre Gedanken, ihre Träume, ihre Sehnsüchte. Es ist die Nähe, die sie herstellen. Diese Frauen und Männer werden uns vertraut wie Freunde.
Wir dürfen teilhaben an ihren Alltag, ihren Siegen, aber auch an ihren Niederlagen. In allen ihren Filmen bleibt Helke Misselwitz sich treu. Sie macht die Menschen sichtbar.

In den Nachwendezeiten setzt sie sich massiv dafür ein, dass der Filmstock der DEFA, zu dem so wichtige Filme wie die von Konrad Wolf gehören, nicht verkauft wird, sondern in eine Stiftung eingeht. Seit 1998 gibt es diese Stiftung nun.

Seit 1997 ist Helke Misselwitz Professorin für Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" in Potsdam-Babelsberg. Sie ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg.

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